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«Wir horten keine Steuergelder»

Am 30. November stimmt Arbon über das Budget 2026 ab. Stadtpräsident René Walther spricht über die Zusammenhänge von Steuerfuss-Senkung und Investitionsstau und nimmt Stellung zum Vorwurf, die Stadt horte Steuergelder.

Kim Berenice Geser

René Walther, Sie sollen in einer Sitzung der Finanz- und Geschäftsprüfungskommission zum Budget 2026 gesagt haben, dass eine Steuerfuss-Senkung von zwei Prozent machbar wäre.

Das stimmt so nicht.

Sie bestreiten diese Aussage?

Nein, aber sie wurde aus dem Kontext gerissen.

Und wie lautet dieser?

Dass wir es uns mit unserem freien Eigenkapital von aktuell circa 32 Mio. Franken leisten könnten, auch mal negative Rechnungsjahre zu schreiben, wenn da nicht andere Effekte wären.

Die Steuern liessen sich also doch senken?

Ja, aber – und das ist eben der fehlende Kontext – nur, wenn alles so bliebe, wie es aktuell ist. Und das ist nun mal nicht der Fall – was wir in unserer strategischen Planung nachvollziehbar aufzeigen. Ausserdem bleibt unser Problem mit dem Geldfluss bestehen.

Man müsste meinen, dass Arbon nach sieben positiven Rechnungsjahren keine Geldfluss-Probleme hat.

Wenn am Ende des Jahres ein Gewinn übrig bleibt, muss dieser nicht zwingend als «Cash» vorhanden sein. Letztes Jahr beispielsweise haben wir einen Gewinn von rund 6 Mio. Franken gemacht. 4 Mio. davon kamen jedoch alleine durch eine Wertberichtigung zustande. Das bedeutet, diese 4 Mio. Franken landeten nicht als Bargeld auf dem Konto der Stadt. Es ist ein rein buchhalterischer Wert, der nur zum Tragen käme, wenn wir diese Grundstücke verkaufen würden, was aber nicht so einfach geht.

Dennoch wurden in den letzten sieben Jahren stets die Steuereinnahmen als Mitgrund für die guten Abschlüsse genannt.

Natürlich haben das Wachstum und eine bessere Steuerkraft zu den vergangenen guten Rechnungsjahren beigetragen. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit.

Der Vorwurf, wir horten Steuergelder, stimmt deshalb schlicht und ergreifend nicht.
René Walther

Wie lautet der andere Teil?

Die Stadt hat einen Jahresumsatz von rund 65 Mio. Franken. Alle Steuereinnahmen insgesamt, also von privaten und juristischen Personen, aus der Liegenschaften- und der Grundstückgewinnsteuer, machen circa 23 Mio. Franken davon aus. Das bedeutet: Nicht einmal ein Drittel, von dem, was die Stadt jährlich umsetzt, wird durch Steuergelder finanziert.

Und der Rest?

Aus Entgelten für Dienstleistungen, welche die Stadt erbringt; von Beiträgen des Kantons; aus Finanzerträgen wie Mieteinnahmen. Und – zu einem Grossteil – aus Transfererträgen, welche die Stadt von Bund und Kanton für erbrachte Leistungen erhält, zum Beispiel für die individuelle Prämienverbilligung.

Zurück zum Geldfluss: Die Stadt verfügt derzeit über ein Eigenkapital von rund 75 Mio. Franken. Davon sind 32 Mio. freies Eigenkapital. Ein wenig vermessen, bei dieser Ausgangslage von einem Problem zu sprechen.

Eben nicht. Denn dem gegenüber sind lediglich knapp zehn Mio. flüssige Mittel, also Geld, über das die Stadt direkt verfügen kann, vorhanden. Der Rest steckt in Wertanlagen wie zum Beispiel in Grundstücken oder Beteiligungen an Organisationen wie der Arbon Energie. An flüssigen Mitteln sind nie mehr als 10 Mio. Franken vorhanden. Sobald es mehr sind, zahlen wir entweder Schulden ab oder machen mittelfristige Anlagen. Der Vorwurf, wir horten Steuergelder, stimmt deshalb schlicht und ergreifend nicht. Das dürfen wir gar nicht. Dafür gibt es gesetzliche Vorgaben.

Was passierte denn mit den Steuergeldern?

Sie dienen vor allem dazu, den laufenden Betrieb sicherzustellen. Sie fliessen in die Dienstleistungen, welche die Bürgerinnen und Bürger beziehen, in die Entwicklung der Stadt, an städtische Institutionen wie die Bibliothek und an Vereine und Kulturangebote, die Beiträge erhalten.

Die Entwicklung der Stadt ist ein wichtiges Stichwort. Diese soll in den kommenden Jahren vorangetrieben und der Investitionsstau endlich aufgelöst werden. Stadtrat und eine Mehrheit des Parlaments warnen davor, dass dieser Entwicklung mit einer Steuerfuss-Senkung wieder der Riegel geschoben würde.

Zu Recht.

Man könnte aber auch argumentieren, dass die Arboner Steuerzahlenden in den vergangenen Jahren, als eben nicht investiert wurde, die anstehenden Projekte quasi vorfinanziert haben. Denn die Stadt konnte dadurch Schulden abbauen.

Diese Aussage stimmt so nicht. Ja, es ist richtig, dass Schulden abgebaut werden konnten. Diese Schulden wurden in den letzten Jahren aber durch jene Generationen abgebaut, die sie verursacht haben. Unter anderem hat man eine NLK gebaut. Dazu kamen wirtschaftlich schlechte Jahre. Um gesund zu werden, hat man unter anderem einfach nichts mehr investiert und so der nächsten Generation eine Hypothek mit auf den Weg gegeben.

René Walther erklärt den städtischen Finanzhaushalt anhand einer Grafik.
René Walther erklärt den städtischen Finanzhaushalt anhand einer Grafik.
© Kim Berenice Geser

Den Investitionsstau?

Richtig. Wir haben heute eine Liste mit 400 angestauten Projekten – und das ist kein Wunschkonzert. 65 Mio. Franken müssen in den kommenden acht bis zehn Jahren investiert werden. Können wir diese Projekte nicht umsetzen, weil uns die finanziellen Mittel fehlen, wächst der Berg zwangsläufig an und belastet auch die nächsten Generationen.

Schön und gut, aber bei einer Steuersenkung von zwei Prozent fehlen der Stadt jährlich 650’00 Franken. Ein solcher Betrag fällt doch bei einer Investitionssumme von 60 Mio. Franken nicht ins Gewicht.

Doch tut er. Das ist über eine halbe Million Franken flüssige Mittel, die uns jährlich fehlen würde. Womit wir wieder beim Geldfluss sind: Dieser reicht einfach nicht aus, um die anstehenden Investitionen selbst decken zu können. Also müssen wir Geld bei der Bank aufnehmen, was die Verschuldung begünstigt, die Rechnungsergebnisse werden schlechter. Und wie eingangs erwähnt, könnten wir uns das isoliert auf das Eigenkapital betrachtet ein paar Jahre leisten. Wenn man aber den Geldfluss und die kumulierten Rechnungsabschlüsse ansieht eben nicht.

Sie warnen auch vor zusätzlichen Effekten, wie den Abschreibungen, die demnächst aufgrund der geplanten Projekte steigen werden.

Und zwar deutlich. Was grundsätzlich auch richtig ist. Wir haben viel zu tiefe Abschreibungen und einen viel zu tiefen Selbstfinanzierungsgrad, weil wir nicht investiert haben und gleichzeitig die Geldflussrechnung nicht verbessert werden konnte. Die Abschreibungen werden die Erfolgsrechnung in den kommenden Jahren belasten – und zwar nachhaltig. Und genau in der Zeit, in der die Abschreibungen steigen, kommt die Abschaffung der Liegenschaftensteuer von rund 1,3 Mio. Franken dazu und die Beiträge an die Prämienverbilligung werden um 1 Mio. Franken steigen. Ausserdem will die KVA die Beiträge an die Abfallsammelpunkte streichen, während die Perspektive Thurgau voraussichtlich mehr Geld braucht und so weiter. Tritt auch nur die Hälfte, von all den angekündigten Änderungen in Kraft, fehlen uns auf einen Schlag etwa 2.5 Mio. Franken. Eine derzeitige Steuerfuss-Senkung ist völlig unverantwortlich und kurzsichtig. Deshalb haben wir als Stadtrat diesen Vorschlag auch abgelehnt.

Das klingt nicht, als ob Sie in den kommenden Jahren eine Steuersenkung für möglich halten.

Tun wir auch nicht. Vielmehr gehen wir davon aus, dass sich andere Gemeinden unserem Steuerfuss annähern. Denn vor allem die Zentrumsstädte sind von denselben Effekten betroffen. In anderen Gemeinden werden bereits Erhöhungen öffentlich diskutiert und medial angekündigt.

Was wären die Konsequenzen einer Steuersenkung?

Die Erfolgsrechnung des aktuellen und der kommenden Budgets würde ins Minus rutschen, was Forderungen zum Sparen provoziert. Da der Geldfluss betroffen wäre, wären vor allem wichtige Positionen des operativen Geschäfts betroffen. Wie zum Beispiel Personal und Projekte.

Der grosse Unterschied zu damals ist, dass wir heute alle Pendenzen der Stadt in einer Gesamtübersicht erfasst haben, die auch in den Finanzplan einfliesst. Das ist keine Fiktion, das sind reelle Themen.
René Walther

Malen Sie hier etwas gar schwarz?

Nein. Der Kanton ist das beste Beispiel: Wenn man mal unten ist, kommt man nicht mehr so einfach hoch. Ich erlebe derzeit hautnah mit, was das in der kantonalen Verwaltung auslöst.

Der Steuerfuss ist bei einer Senkung doch nicht in Stein gemeisselt. Setzt in den kommenden Jahren wirklich ein Abwärtstrend ein, könnte man ihn wieder anheben.

Das ist nicht das Ziel einer seriösen Finanzplanung. Das Ziel ist ein stabiler Steuerfuss. Und zwar mit den Argumenten der Planungssicherheit und des Werterhalts.

Man könnte auch Abstriche machen, zum Beispiel beim Personal. Die Gegner des Budgets 2026 werfen der Stadt ohnehin vor, dass die Verwaltung aufgeblasen sei.

Sparen wir beim Personal, sparen wir auch bei den Projekten. Die Sanierungen von Seeufer, Schlossturm, St. Gallerstrasse, Friedhofskapelle, Campingplatz – alle diese Vorhaben können ohne das Personal, das wir jetzt haben, nicht umgesetzt werden. Das bedeutet Stillstand. Wir können den Werterhalt von Arbon nicht sicherstellen, die Stadt wird an Attraktivität verlieren. Und nein, es stimmt nicht, dass die Verwaltung aufgeblasen ist. Ich würde argumentieren, dass wir in der Vergangenheit zu wenig Personal hatten. Was unter anderem auch erklärt, warum Projekte nicht vorangetrieben werden konnten.

Und inwiefern unterscheiden sich die heutigen Projektplanungen von teuren Luftschlössern wie der Masterplanung Seeufer?

Die Masterplanung Seeufer war eine städtebauliche Vision, die nichts mit Machbarkeit und Realität zu tun hat. Zwei Drittel davon sind bestehende Probleme, von denen einige auch in den heutigen Stadtentwicklungsplan eingeflossen sind. Der grosse Unterschied zu damals ist, dass wir heute alle Pendenzen der Stadt in einer Gesamtübersicht erfasst haben, die auch in den Finanzplan einfliesst. Das ist keine Fiktion, das sind reelle Themen.

Sie sagen also, in der heutigen Gesamtübersicht sind nur noch Projekte enthalten, die tatsächlich nötig sind?

Genau. Kein «schöner Wohnen.» Wir setzen klare Prioritäten. Zur Veranschaulichung: Eigentlich stünden Investitionen in Höhe von 110 Mio. Franken an. Wir haben das auf 65 Mio. Franken eingedampft, weil wir nur jene Projekte angehen, die wirklich dringlich und effektiv sind, einen Mehrnutzen stiften und den Werterhalt sichern.

Einmal abgesehen von den langfristigen Konsequenzen, die eine Steuerfuss-Senkungen haben könnte: Was sind die kurzfristigen Folgen, sollte die Stimmbevölkerung am 30. November das Budget 2026 ablehnen?

Dann hätten wir ein Not-Budget und es dürften nur noch zweckgebundene Ausgaben getätigt werden. Das hätte unter anderem zur Folge, dass im ersten Halbjahr alle städtischen Veranstaltungen nicht durchgeführt würden. Sämtliche Projekte, über die noch nicht abgestimmt wurde, müssten gestoppt werden. Das würde zum Beispiel die Seeufer-Sanierung betreffen. Kultur- und Sportbeiträge könnten nicht freigegeben werden. Und so weiter.

Arboner Parteien fassen Abstimmungsparolen

BFA
Die Bürger Fraktion Arbon (BFA) sagt einstimmig Nein zum vorgelegten Budget 2026. Sie empfiehlt dem Souverän ein Signal zu setzen und am 30. November ein Nein in die Urne zu legen. «Arbon wird nicht nur attraktiver durch teure Labels und ‘Artour’. Fakt ist, dass Arbon seit Jahren den höchsten Steuerfuss von 72 Prozent im Thurgau ausweist», schreibt die Partei in einer Mitteilung. Die Bevölkerung aus Arbon habe nun die Chance dem entgegenzutreten. Zu den beiden Budgetvorlagen der SSG und der PSG Arbon wurde die Ja-Parole gefasst.
XMV
Die politische Gruppierung XMV empfiehlt allen Arbonerinnen und Arbonern, dem Budget 2026 zuzustimmen. Der dezidierte Ruf nach einer Steuerfusssenkung sei nicht nachvollziehbar. «Es sind verschiedene Projekte in Bearbeitung, die für die Werthaltigkeit unserer Stadt enorm wichtig sind.» Ausserdem sei eine Senkung um zwei Prozent für den Einzelnen kaum wahrnehmbar, im Stadtbudget würde jedoch mehr als eine halbe Million fehlen. Das Argument, Arbon müsse im Thurgauer Steuerwettbewerb den letzten Platz verlassen, um an Attraktivität zu gewinnen, greift laut XMV zu kurz. Für einen sinnvollen Vergleich lohne der Blick über die Kantonsgrenze zum Beispiel nach St. Gallen. Eine isolierte Betrachtung des Steuerfusses sage wenig über die Attraktivität Arbons aus. Was zähle, sei das Kosten-Nutzen-Verhältnis und dieses sei in Arbon aufgrund der Infrastruktur gegeben. Mit gleichbleibendem Steuerfuss könne diese erhalten und optimiert werden.
SP Arbon
Die SP Arbon hat einstimmig die Ja-Parolen zum Budget der Stadt sowie zu den Budgets der SSG und der PSG Arbon gefasst. «Ein Ja zum Budget der Stadt ist entscheidend, um Arbons positive Entwicklung nicht durch eine riskante Steuersenkung zu gefährden», schreibt die Partei. In der aktuellen Wirtschaftslage brauche es Stabilität statt Experimente. Von einer Senkung würden vor allem Spitzenverdienende profitieren, während Mittelstand und Tiefverdienende unter einem möglichen Leistungsabbau zu leiden hätten. Zudem lohne es sich nicht, die Stadt wegen zwei Steuerprozenten in ein Notbudget zu schicken. «Die SP Arbon sagt klar Ja zu einer solidarischen, handlungsfähigen und zukunftsorientierten Stadt Arbon.»

Mini-Serie zum Budget 2026

Dieser Text ist der dritte Beitrag zur Berichterstattung im Vorfeld der Abstimmung vom 30. November. Vor zwei Wochen äusserte sich das Nein-Komitee bestehend aus der SVP und Riquet Heller (FDP) und letzte Woche äussert sich das Pro-Komitee bestehend aus Die Mitte, EVP, SP, Grünen, FDP und XMV zur Debatte.

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